Die in Angoulême gezeigten Ausstellungen mit Arbeiten von Morris und Hugo Pratt haben Eindruck hinterlassen: Nachdem das Festival vor Allem durch die Querelen um die Preisverleihungen in Gerede gekommen war, zeigte es sich hier von seinen besten Seiten. Beide Ausstellungen versammelten eine Vielzahl von hoch sehenswerten Originalen und erlaubten neue und ungewohnte Perspektiven auf die bekannten Arbeiten etablierter Künstler. Ein Thema, das bei Pratt vorhanden und bei Morris im Mittelpunkt des Schaffens stand, ist der Western, also die Auseinandersetzung mit den bekannten, zumeist im amerikanischen Westen des 19. Jahrhunderts angesiedelten Motiven: Cowboys, Indianer, infrastrukturelle Erschließung, Kämpfe, Schießereien, Natur, usw. Das erinnert daran, dass beide Künstler derzeit auch in einer Ausstellung und ihrem Katalog vertreten sind, die bereits seit einiger Zeit durch verschiedene deutsche Museen reist und derzeit im Wilhelm Busch-Museum in Hannover zu sehen ist: "Going West! Der Blick des Comics Richtung Westen" zeigt, wie prägend der amerikanische Westen und die damit verbundenen Ideen und Bilder auch für den Comic waren und sind.
Angefangen bei frühen Zeitungscomics in den USA über frankobelgische Western-Aneignungen im Funny-Metier hin zu neueren Arbeiten zwischen Überzeichnung und Realismus wird hier nicht nur ein comicgeschichtlich bestimmendes Thema in den Mittelpunkt gestellt, es wird parallel auch die Geschichte des populären Comics allgemein erzählt. Strips, Hefte, Alben, Funny, Abenteuer, Evolution der Publikationsformen in den USA und Frankreich – Themen, an denen sich in allgemeinen Comic-Historien gerne orientiert wird, laufen hier ebenfalls am Rande mit.
Natürlich gibt es hier eigene Schwerpunkte und es wird nicht der Versuch unternommen, eine allgemeine Geschichte des Comics zu erzählen: Der Fokus liegt auf amerikanischen Comics, vor allem aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und frankobelgischen Comics ab den 1950ern. Bei den US-Zeitungscomics arbeitet Kurator Alexander Braun sehr anschaulich heraus, dass zwar oft mit bekannten Erzähl-Klischees wie dem Cowboy-Abenteuer gearbeitet wird, es aber häufig mehr um einen eigenen Zugang und eigene Erzählungen geht. So ist George Herrimans "Krazy Kat" zwar erkennbar in den Wüstenlandschaften des amerikanischen Südwestens angesiedelt, hat aber mit Western-Klischees weniger zu tun. Die kurzlebige Serie "White Boy" von Garrett Price, ebenfalls ein Zeitungscomic, näherte sich in den 1930ern der Western-Thematik aus indianischer Sicht und verblüfft bis heute mit bis dato ungesehenen impressionistischen Bildideen. Oftmals reisten Charaktere in Serien wie "Bringing up Father" oder "Gasoline Alley" auch in den Westen, was ihre Schöpfer zur Auseinandersetzung mit Naturmotiven einlud.
Viele nordamerikanische Comics waren darüber hinaus beeinflusst vom Western-Film, seinen Bildern und Erzählmustern, was dann auch für viele europäische Comics gilt. Die einen, wie eben Morris in "Lucky Luke", setzten das als Funny-Geschichten um, andere, wie zum Beispiel Jijé mit "Jerry Spring", als um einen gewissen Realismus bemühte Geschichten für ein erwachseneres Publikum. Darüber hinaus finden hier noch eine Vielzahl weiterer Künstler, darunter Hugo Pratt, Milo Manara, Benito Jacovitti, Kyle Baker oder Raymond Dirgo, beziehungsweise ihre Comics, Erwähnung.
Rund 120 Originale sind noch bis zum 21. Februar in Hannover zu sehen, dazu Hefte, Alben und andere Originalpublikationen sowie weitere, auch ethnologische Objekte. Hunderte Abbildungen umfasst der gewichtige Katalog, der allerdings nur am Rande der Ausstellung zu erwerben ist. Das ist einerseits Schade, denn dem über 400 Seiten starken Band ist ein denkbar großes Publikum zu wünschen. Wie man es von anderen Büchern Brauns gewohnt ist, wurde der kenntnisreiche Text schön gesetzt und die sehr ansehnlich reproduzierten Bilder laden zum Schwelgen ein. Andererseits ist es auch ein Glück: Schwer vorstellbar ist dieser Band als kommerzielle Verlagsveröffentlichung. Es wäre allein ein monumentales Unterfangen, die Bildrechte zu klären und dass man die Abdruckgenehmigung für sie erhalten würde, ist zum Beispiel im Hinblick auf "Tim und Struppi", die hier natürlich nicht fehlen, mehr als fraglich. So muss man also den Weg nach Hannover antreten oder dann zum Zeitungsmuseum nach Wadgassen, wo die Ausstellung von März bis Juni gezeigt werden wird.
Ausgestellt werden übrigens auch Arbeiten Hermanns, dessen "Comanche" (Texte: Greg) oder "Jeremiah" sicherlich auf dem nächstjährigen Comicfestival in Angoulême zu sehen sein werden, dem der Belgier als Grand Prix-Ausgezeichneter vorstehen wird.
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Abbildungen © Disney, © Les Éditions Albert René