Skizzenbuch (15): David Füleki

David Füleki gehört zu den umtriebigsten deutschen Zeichnern: Seit rund 15 Jahren veröffentlicht er regelmäßig Comics, seine Bibliografie umfasst dutzende Titel, die er in selbstgedruckten Heften, Anthologien, bei Comicverlagen, seinem eigenen Haus Delfinium Prints oder online veröffentlicht.

Der ICOM-, Sondermann- und Peng!-Preisträger kann in diesem Jahr noch eine weitere Trophäe seiner Sammlung hinzufügen: „78 Tage auf der Strasse des Hasses“ ist in der Longlist für die Max und Moritz-Preise.

Im Interview geht er ausführlich auf seine Arbeitsweise ein, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert hat und führt aus, dass ihm die besten Ideen auf dem Fußballfeld kommen. Neben vielen hier zu sehenden Skizzen erlaubt David Füleki auch einen Blick auf seinen Arbeitsplatz.

Dutzende weitere Bilder gibt es ganz unten in der flickr-Galerie: Comicseiten in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien, Skizzen und Scribbles zu verschiedenen, zum Teil unveröffentlichten Projekten, und Einblick in sein Reiseskizzenbuch mit auf einer Japanreise entstandenen Zeichnungen.
 
Du hattest bei meiner ersten Anfrage gesagt, dass Du kaum Skizzen anfertigst. Nach einigen hundert Comicseiten will ich eigentlich nicht das Wort „üben“ verwenden, aber wie näherst Du Dich bei Deiner Arbeit zeichnerischen Herausforderungen? Überzeichnest Du so oft, bis es passt?
Och, doch, da kann man schon noch von Übung reden. Das Üben beziehungsweise Verbessern der Technik sowie der Ausbau der spontan abrufbaren Bilder-Enzyklopädie – das Auswendiglernen, wie etwas aussieht, indem man es ausgiebig studiert – sind Aspekte der Zeichner-Tätigkeit, die immer eine große Rolle spielen. Und auch wenn ich nicht viel skizziere, so zeichne ich doch viel – nur geht’s halt ohne großes Federlesen direkt ans Eingemachte.
Dass ich nie ein großer Skizzierer war, lag vielleicht primär an meiner Autodidakten-Planlosigkeit. Da ich nie in irgendeiner Weise eine zeichnerische Ausbildung hatte – selbst im Kunstunterricht haben wir kaum gezeichnet –, war mir einfach nie klar, wozu Scribbles, Storyboards und Dergleichen gut sein sollen. Wenn ich all sowas bei KollegInnen gesehen hab, dachte ich immer, das sei Zeitverschwendung, weil man in der Zeit, die man noch mit Bildkompositionsplanung und Figurenentwicklung vermeintlich verschwendet, eigentlich schon am eigentlich Hauptwerk arbeiten könnte. Daher gab es bei mir auch nie nennenswerte Konzeptionierungs- und Vorbereitungsphasen. Ohne Aufwärmung direkt ins kalte Wasser. Figuren und Settings entstanden sozusagen on-the-fly bei ihrem ersten Auftritt im Comic. Und ausgerechnet eines meiner großen künstlerischen Vorbilder, Akira Toriyama, teilte diese Meinung, wodurch ich mich in meinem jugendlichen Leichtsinn auch noch bestätigt fühlte.

Mittlerweile verstehe ich jedoch besser, wozu so eine Eingewöhnungsphase alles gut sein kann. Was wohl am stärksten dazu beitrug, mir die Augen zu öffnen, war ein Besuch der Pixar-Ausstellung in Bonn, die wider meiner Erwartung keine Aneinanderreihung von 3D-Modellen auf Computermonitoren war, sondern ein wildes und leidenschaftliches Sammelsurium an Pastellkreide-Farbstimmungs-Skizzen, Figuren-Doodles und ähnlichem. Da konnte man recht minutiös nachverfolgen, was für eine komplexe und erstaunlich analoge Vorarbeit nötig ist, um die gewohnte Genialität des Studios zu gewährleisten.
Und ja, mittlerweile mach ich schon mal das ein oder andere Storyboard und scribble Charaktere auch zunächst in verschiedenen Varianten vor mich hin, bis ich mich für ein Design festlege.
Aber dennoch überspringe ich auch – projektabhängig – nach wie vor ganz gern den ganzen Skizzen-Kram. Denn das muss man auch dazu sagen: Eine lange Vorarbeitszeit sorgt vielleicht dafür, dass das finale Produkt runder geschliffen und poliert wird. Doch das spontanere Draufloszeichnen bringt einen gewissen Unsicherheitsfaktor rein, der mindestens genau so attraktiv ist. Ich lasse mich halt auch ganz gern mal innerhalb eines Comics überraschen, was auf den nächsten drei Seiten so alles passieren wird, woran ich noch gar nicht gedacht hab.

Und zum Schlussteil der Frage: Nee, das mehrmalige Überzeichnen passiert eher seltener. Wenn es mal nötig ist, dann kommt es in der Regel auch gleich richtig dicke, aber dann hängt es meist auch mit komplizierten Schlüsselszenen zusammen, die einfach wie die Faust aufs Auge passen müssen. Ansonsten bin ich da ausreichend auf alle Fälle vorbereitet, was zeichnerische und kompositorische Herausforderungen anbelangt. In der Hinsicht ist das grafische Arbeiten halt auch ein Handwerk, das selbst in seinen kreativsten, künstlerischsten und spontansten Momenten gewissen Regeln folgt, die man sich – bewusst oder unbewusst – im Laufe der Jahre zwangsläufig draufschafft.

In welchen Arbeitsschritten entstehen Deine Arbeiten? Digital oder Analog?
Das Digitale macht sich schon immer breiter, aber dann auch fast ausschließlich in der Endphase. Also beim Colorieren, Lettern oder generell der Druckvorstufe, da ich mein Zeug in der Regel ja auch gleich noch für die Druckereien zurecht schnippel. Ansonsten bin ich aber großer Freund des Analogen. Irgendwo ist jedes meiner Werke mal mit Bleistift und Papier in Kontakt getreten. Und wenn’s nach mir ginge, würd ich auch ganz gern wieder wie in alten Zeiten viel mehr mit Tempera, Öl, Acryl, Aquarell, Copics und Co. hantieren. Mit einem Arbeitsplatz, der vollgemüllt ist mit verkrusteten Farbtuben, ausgefransten Pinseln und der alten Blumen-bemusterten Wachstischdecke von meiner Mutti, die ich als Malunterlage zweckentfremden durfte, nachdem ich große Stücke aus ihr mit einer heißen Pfanne rausgeschmolzen habe. In dem ganzen messiemäßigen Analogchaos, bei dem ich jeden uralten festgetrockneten Acrylspritzer noch dem zugehörigen Bild zuordnen kann, fühle ich mich am wohlsten. Die Freiberufler-Arbeit lässt das nur meist nicht zu, weil es in der Regel schnell gehen muss und das Digitale bringt halt vor allem Geschwindigkeit.

Im Laufe der Jahre bin ich schon immer mehr Kompromisse eingegangen. Vor etwas über zehn Jahren war ich noch ein regelrechter Analog-Nazi und hab alles verteufelt, das zu viel Photoshop abbekommen hat. Dann kam Schritt für Schritt ein Zugeständnis nach dem anderen. Seit ein paar Monaten nutze ich nun sogar erstmals ein Grafiktablett. Das fühlt sich fast wie Cheaten an, weil es die Arbeit schon beinahe zu einfach macht.
Was ich mir aber auf alle Fälle erhalten will, ist das analoge Vorzeichnen und Inken von Comics. Da seh ich mich nicht irgendwann mal dabei, dass ich alle Schritte auf dem Grafiktablett abfertige.

Wie planst Du eine Geschichte, bevor es an den Zeichentisch geht? Gibt es eine Art Skript oder hast Du alles im Kopf und lässt die Handlung auf dem Papier entstehen, während Du zeichnest?
Wie bereits angesprochen, behalte ich mir sowohl zeichnerisch als auch inhaltlich gewisse Lücken vor, die ich spontan füllen kann, während ich den Comic zeichne. So kann ich nicht nur die Leser, sondern auch mich selbst noch mit unplanmäßigen Entgleisungen überraschen. Das muss auch nicht automatisch immer was abgedreht Anarchistisches sein. Oft geht es dabei auch um Einstellungswinkel, Hintergrunddetails oder Zitate, die einem erst während des Zeichnens einfallen und die die Szene erst endgültig rund machen. Kleine Aspekte, die man einfach nicht im Vorfeld planen kann.
Inhaltlich lege ich bei meinen Geschichten stets großen Wert drauf, dass sich Sachen „reimen“. Also dass es auf möglichst jede Ursache auch eine Wirkung gibt; dass anfangs eingeführte Elemente im späteren Verlauf zurück ins Spiel gebracht werden und plötzlich eine wichtige Rolle spielen; dass Aussagen erst rückwirkend betrachtet eine zweite Sinnebene bekommen, weil zukünftige Ereignisse teils zunächst profan wirkenden Texten eine metaphorische Bedeutung geben usw. Und die besten Reime kommen einem spontan. Das sind Feinschliffmaßnahmen, die kann man gar nicht alle planen, weil sie auch mit Details zu tun haben, an die man im großen Kontext der Geschichte nicht denkt.

Ansonsten gibt es aber natürlich auch die mentalen Vorarbeiten. Je komplexer das Werk, desto länger mache ich mir auch Gedanken darüber, wie ich eine Schlüsselszene mit der nächsten verknüpfen kann, damit am Ende möglichst keine nennenswerten Logiklöcher übrig bleiben.
Am spaßigsten sind immer die Kurzgeschichten oder die ersten Kapitel einer Serie, weil man da noch relativ frei drauf los zeichnen kann. Wenn es dann aber irgendwann drum geht, die ganzen losen Fäden zu verknüpfen, artet das Gaze in echt komplizierte Arbeit aus. Bei „78 Tage auf der Straße des Hasses“ wusste ich beispielsweise von Anfang an, was in etwa für Momente bei der Auflösung der ersten großen Story Arc vorkommen sollen (siehe die letzten Kapitel von Band 3), doch die Kunst bestand dann darin, diese Momente – nach sieben Jahren Vorlaufzeit – natürlich miteinander zu verweben. Und oft geht’s dabei nur um Überleitungen in einem Gespräch. Wie leitet man dieses Thema auf dieses um? Was ist der Trigger-Reiz, der die nächste Phase einleitet? Und die finale Kunst besteht darin, diese komplizierte Arbeit so aussehen zu lassen, als hätte man es mal eben spontan so hingerotzt. Denn nur dann hat es noch den nötigen Drive und die Dynamik, um den Lesefluss möglichst geschmeidig aufrecht zu halten.
Übrigens sind Story-Konzeptionen etwas, das ich nur schwer auf Knopfdruck hinterm Schreibtisch hinbekomme. Am besten greifen in meinem Kopf die Zahnräder ineinander, wenn ich nebenbei Sport mache. Der Großteil meiner Geschichten ist daher auf dem Fußballfeld entstanden.

Du bist seit über 15 Jahren aktiv, wie hat sich Deine Herangehensweise an die Arbeit seit „Vereinigung der Superkrieger introducing Toh-Fu“ verändert?
Aufs Wesentliche runtergedampft, würde ich sagen, dass da gar nicht mal so viel passiert ist. Zu der Zeit von „Toh-Fu“ arbeitete ich auch an meiner ersten längeren Serie im Manga-Stil „Special Case“. Mit „länger“ meine ich, dass das damals schon um die 400 Seiten waren. Klar, das war das Werk eines Vierzehnjährigen und dementsprechend infantil, albern und teilweise zerfasert. Aber wenn ich mir das Zeug heute noch mal anschaue, erkenn ich trotzdem schon die wesentlichen Aspekte, die mein Gesamtwerk ausmachen.
Die folgenden Jahre haben mein Handwerkszeug geschliffen und durch neue Impressionen wurde der Blick für den dramaturgischeren Aufbau und pointierteres Erzählen geschärft. Aber wie gesagt: Das Grundgerüst blieb weitgehend bestehen – ob das nun was Gutes oder was Schlechtes ist. So ein Comic ist halt auch irgendwo eine Repräsentation der eigenen unumstößlichen Persönlichkeitsmatrix.
Der wesentlichste Faktor ist ansonsten aber der unmittelbarere Einfluss von Rezeptionsstatistiken. „Special Case“ haben nur im privaten Rahmen ein paar Leute zu sehen bekommen; die frühen Veröffentlichungen wie „Toh-Fu“ oder „Like a Hero“ hatten zwar viele Leser, aber deren Reaktion kam erst sehr zeitversetzt. Mit der Präsentation meiner Werke im Internet samt der damit verbundenen Parameter (Like-Zahlen, Views, Leserbewertungen usw.) oder durch den Direktverkauf über meinen eigenen Verlag Delfinium Prints auf Conventions und Messen bekomme ich unmittelbar die Reaktionen der Leser mit. Beziehungsweise sehe ich, bei welchen Werken die Leser ausbleiben. Daraus ergibt sich ein ständiger Optimierungsprozess, der das Ziel hat, möglichst viele Leser zu erreichen, ohne dabei seine eigenen künstlerisch-kreativen Ideale zu verraten.
Anders gesagt: Früher stand vor jedem Comic die schlichte, aber ehrliche Motivation, einfach nur seine Geschichte zu erzählen – jetzt thront über allem eine überpräsente wirtschaftliche Komponente, die alles weitere beeinflusst. Leider, aber anders geht es auch nicht, wenn man will, dass angesichts der zahlreichen Konkurrenz ein paar Leser zusammenkommen.

Was zeichnest Du am liebsten – und wovor graut es Dir?
Am liebsten mag ich dynamische Aktionsfolgen. Also Szenen voller Bewegung, bei denen es dann darum geht, durch Einstellungen, Bildausschnitt und irgendwelchen versteckten Vektoren, die sich durch den Seitenaufbau bewegen – kompliziertes Thema; das Fass möchte ich jetzt gar nicht weiter öffnen –, den Blick der Leser möglichst smooth durch die Panel zu führen. Damit verbunden: physiognomische Entgleisungen. Extreme Emotionen, die sich in Gesichtern widerspiegeln. Expressives halt.
Ich lasse mich aber auch gern in lange zen-artige Naturstudien hinein fallen. Einfach mal beim Spazieren Halt machen und die Szenerie, die sich vor mir auftut, mit all ihrer Kleinteiligkeit einfangen. Nicht Schludern, nicht Scribbeln, sondern akkurates Arbeiten. Eben hab ich ja schon die Erweiterung der mental repräsentierbaren Bilder-Enzyklopädie angesprochen. Und genau darum geht es dabei. Wenn man einmal einen Toaster mit all seinen Eigenheiten abgezeichnet hat, versteht man ihn besser und wird ihn zukünftig einfacher spontan abrufen und zu Papier bringen können. Das Beispiel kam mir grad entgegen, weil ich vorhin einen Comic gelesen hab, bei dem mich ein ganz schlecht gezeichneter Toaster aus dem Lesefluss rausgekegelt hat. Kein profanes Hintergrundobjekt sollte so eine desaströse Macht haben.

Das Schlimmste sind Fahrräder. Ein Fahrrad vereint in sich alles, was am Zeichnen sehr schwierig ist. Vor allem, wenn man eher den naturalistischen Weg einschlägt und Wert drauf legt, Proportionen und Details möglichst genau einzufangen. Allein die perspektivische Verzehrung der Räder und der Speichen ist etwas so unglaublich Kompliziertes, dass es fast schon ein großer kosmischer Witz ist, dass ich für meine Auftragsarbeiten für das Projekt „Der Schlaufuchs“ ganz, ganz oft Fahrräder zeichnen muss.


 
Ende des Monats wirst Du auf dem Comic-Salon Erlangen sein. Inwiefern unterscheidet sich der Salon für Dich von einer reinen Manga-Veranstaltung?
Auf Manga- und Anime-Cons bzw. der Leipziger Buchmesse, die auch diesen sehr starken Fernost-Bezug hat, bin ich nun schon seit 2002 regelmäßig unterwegs. Als ich aber 2008 erstmals auf einem Comic-Salon war, hatte das was von Debütantinnenball. In der Manga-Ecke hatte man sich schon einen Namen gemacht und wusste, womit man es zu tun hat wie auch die anderen wussten, womit sie es mit einem selbst zu tun hatten. In Erlangen wurden die Karten dann neu gemischt und man war auf einmal wieder Newcomer – sieben Jahre nach meiner ersten größeren Veröffentlichung. Und vor allem war man auf einmal wieder einer der Jüngeren! Auf den Manga-Veranstaltungen gehörste mit Mitte 20 schon langsam zu den creepy alten Leuten, denen keiner so recht übern Weg traut. Was ist da der Altersdurchschnitt? Zwölf bis 14 vielleicht?
Erlangen war damals auch mein erster großer Schritt, den ich auf die Nicht-Manga-Szene zuging. Und ich war ganz froh, dass die Szene auch mir entgegenkam uns es seitdem zunehmenden Austausch zwischen den beiden Lagern gibt. Mittlerweile hab ich jedenfalls das Gefühl, dass wir Delfinium Prints-Gesocksch und ähnlich ausgerichtete Verlage und Künstler echt gut in die Erlangen-Community integriert sind. Es wäre wünschenswert, dass die letzten Hardliner nun auch langsam mal die Vorzüge des jeweils anderen Lagers ausloten und die Grenzen zwischen Mango, Grapefruit Novel usw. immer mehr verschwimmen.

Außerdem ist der Comic-Salon von allen Comic-Messen und -Cons die Veranstaltung, wo ich immer Bock auf das ganze kulturelle Programm hab. Workshops, Panel-Diskussionen, Gesang und Tanz, Events in der Stadt usw. Auch wenn ich nie Zeit hab, mir dann wirklich mal was davon anzugucken. Da könnten die ganzen Konkurrenten mal biss’l von abgucken.
Und der Salon hat „die Stimme“. Beste Grüße an dieser Stelle. Ich denk mir schon mal kindische, für alle Anwesenden peinliche, Albernheiten für die Durchsagen aus.

David Füleki im Internet: • • deviantartanimexx

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Abbildungen © David Füleki
 

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