Der kürzlich veröffentlichte Wirtschaftsbericht der französischen Vereinigung der Comic-Kritiker und -Journalisten (l’Association des Critiques et journalistes de Bande Dessinée, ACBD) bezeichnet 2015 rückblickend als "Jahr der Rationalisierung". In einem politischen wie wirtschaftlichen von Unsicherheiten geprägten Jahr hat der Comicmarkt sich gut halten können, auch wenn das zu Lasten der Experimentierfreude ginge: Autoren und Verlage gehen geringe Risiken ein und setzen auf Bewährtes, wenn es um neue Serien oder Stoffe ging.
Leicht gefallen ist die Zahl der Veröffentlichungen: 5.255 Comics erschienen 2015 im französischsprachigen Raum (also auch in Belgien und der französischsprachigen Schweiz), ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2014 (5.410). 3.923 davon waren Neuheiten. Ein Blick zurück auf das Jahr 2000, in dem mit der systematischen Erfassung der Zahlen durch den ACBD begonnen wurde, verblüfft dabei weiterhin: Weiterhin ist es im Vergleich dazu die rund dreieinhalbfache Menge an Veröffentlichungen, die derzeit jährlich in die Buch- und Comicläden sowie an die Kioske kommt.
Betrachtet man nun die einzelnen Marktsegmente, fällt auf, dass einzig US-Comics und Graphic Novels ("Romans Graphiques") zulegen konnten, was aber nicht überzubewerten ist: Auch wenn erstere in den vergangenen Jahren beständig zulegen konnten und Graphic Novels sich relativ beständig halten, liegen beide mit 419 bzw. 388 Titeln gegenüber frankobelgischen Comics und Manga weiterhin mit großem Abstand zurück. Von denen erscheinen derzeit annähernd gleich viele Titel (2015 1.531 zu 1.585), die Bestseller stammten 2015 dabei fast ausschließlich aus dem frankobelgischen Raum. Die zehn Titel mit den höchsten Druckauflagen werden im Bericht wie folgt angegeben:
2.250.000 Ex. "Astérix #36" von Didier Conrad & Jean-Yves Ferri (Albert-René)
550.000 Ex. "Titeuf #14" von Zep (Glénat)
310.000 Ex. "Le Chat #20" von Philippe Geluck (Casterman)
300.000 Ex. "Corto Maltese #13" von Rubén Pellejero & Juan Díaz Canales (Casterman)
300.000 Ex. "Largo Winch #20" von Philippe Francq & Jean Van Hamme (Dupuis)
230.000 Ex. "L’Arabe du futur #2" von Riad Sattouf (Allary éditions)
210.000 Ex. "Les Vieux Fourneaux #3" von Paul Cauuet & Wilfrid Lupano (Dargaud Benelux)
180.000 Ex. "Les Légendaires #18" von Patrick Sobral (Delcourt)
170.000 Ex. "Les Nombrils #7" von Delaf & Maryse Dubuc (Dupuis) und "One Piece #75" von Eiichirô Oda (Glénat mangas)
Mit 100.000 Ex. ist "The Walking Dead #22" von Charlie Adlard, Stefano Gaudiano & Robert Kirkman (Delcourt comics) der US-Comic mit der höchsten Auflage. Insgesamt waren es 2015 88 Titel, die mehr als 50.000 Mal gedruckt wurden, ein klarer Abfall gegenüber 2014 mit noch 98 Titeln. Hier zeigt sich die große Lücke der erhobenen Statistiken: Wie in Deutschland auch, sind Zahlen zu Verkäufen und Umsätzen für den gesamten Markt nicht erhältlich. Einzig werden Auflagen der Bestseller erfasst – und diese zeigen seit Jahren nach unten, da war das vergangene keine Ausnahme. Wurden vom neuen "Largo Winch" 2004 noch 530.000 Exemplare aufegelegt, waren es 2015 noch 300.000, "Lanfeust" fiel im gleichen Zeitraum von 300.000 auf 100.000. "Naruto" fiel von 250.000 (2007) auf 150.000, "Trolls von Troy" wie viele andere Titel unter die Marke von 100.000 (2004: 170.000, 2015: 80.000). Auch Megaseller litten, ob "Titeuf" oder "Asterix", von dessen "Gallien in Gefahr" 2005 noch 3.178.000 gedruckt wurden. Vieles liegt an den einzelnen Serien, sinkende Auflagen können auch an individuellen Faktoren wie sinkender Pupularität oder schierer Qualität liegen, sinkende Auflagen betreffen aber die gesamten erfassten Besteller – und neue Titel kommen kaum hinzu: Neue Reihen mit steigenden Auflagen wie Patrick Sobrals "Les Légendaires – Origines" (2012: 130.000, 2015: 150.000), "Tyler Cross" von Fabien Nury & Brüno (2013: 45.000, 2015: 55.000) oder die auch hierzulande erfolgreichen "alten Knacker" aus "Les Vieux Fourneaux" von Wilfried Lupano & Paul Cauuet (2014: 100.000, 2015: 210.000) sind Ausnahmen.
Weiterhin zugenommen hat die Anzahl der Lizenztitel, die in Frankreich veröffentlicht wurden. Diese sind in der Regel preiswerter und mit weniger Risiken verbunden, muss doch kein eigenes Kreativteam bezahlt werden und kann man hierbei auf andernorts bereits erfolgreiche Stoffe zurückgreifen. (Aus Deutschland wurden 2015 20 Titel übernommen, 2014 waren es 24). Dazu passt, dass im vergangenen Jahr 1.399 KünstlerInnen professionell im Comicbereich tätig waren, so wenige wie seit 2007 nicht. (Davon waren übrigens nur 173 weiblich.)
Das einzige inhaltliche Marktsegment, das zulegen konnte, sind übrigens Kindercomics, deren Anzahl auf 336 stieg (2014: 307). Alle anderen (Humor, Fantasy, etc.) hatten mit Rückgängen zu kämpfen.
Bei den Neuauflagen von Klassikern steht ein Band von Claire Bretécher an der Verkaufsspitze. Die Künstlerin feierte im vergangenen Jahr ihren 75. Geburtstag und wird derzeit unter anderem mit einer großen geehrt.
14.000 Ex. "Morceaux choisis" von Claire Bretécher (Dargaud)
12.000 Ex. "Modeste et Pompon intégrale" von André Franquin, René Goscinny & Greg (Lombard)
11.000 Ex. "Buck Danny (tout) #13" von Francis Bergèse & Jean-Michel Charlier (Dupuis)
11.000 Ex. "Les Schtroumpfs intégrale #3" von Peyo (Dupuis)
11.000 Ex. "Spirou et Fantasio intégrale #16" von Janry (Tome Dupuis)
Bedeckt hält sich der Bericht in Sachen digitaler Comics: Genaue Zahlen seien schwer zu erhalten. Angenommen wird jedoch, dass trotz der zahlreichen Möglichkeiten, Comics in digitaler Form zu erwerben, nur 1% des Marktumsatzes mit ihnen erzielt wird. Das mag angesichts von 14.000 erhältlichen Titeln allein auf izneo.com und dem weiteren Engagement der Verlage zum Beispiel auf europecomics.com arg niedrig erscheinen, fest sollte trotzdem stehen, dass auch im Jahr 2015 der Umsatz mit digitalen Comics marginal geblieben ist.
2015 mag im Besonderen ein "Jahr der Rationalisierung" gewesen sein. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass dies ein Prozess ist, der schon seit vielen Jahren im Gange ist. Der ungebrochen hohe Ausstoß an Titeln hat Viele schon seit Jahren von einem Kollabieren des Marktes orakeln lassen. Die hohe Anzahl von Neuveröffentlichungen muss aber kein Indikator sein, dass das irgendwann eintreten muss, hält sie sich doch inzwschen seit Jahren auf enorm hohen Niveau von über 5.000 Titeln. Welche Effekte das Verschwinden von Megasellern mit Auflagen von vielen hunderttausend Exemplaren, mit denen sonst weniger Comic-affinen Leserschaft erreicht wurde, haben wird und ob irgendwann einfach die Substanz fehlen könnte, wird sich zeigen. Bis auf Weiteres suchen die großen Verlage ihr Heil in der Breite und kaufen mehr Lizenztitel – und scheinen damit gut leben zu können.
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Abbildungen © ACBD
Der ACBD-Jahresbericht kann hier heruntergeladen werden.